An einem Augustmorgen flog ein verletzter Glückskäfer mitten auf der dänischen Südsee auf uns zu und landete auf unserer Großschot.
Ich machte beim Segeln ein Foto von ihm. Doch die Kamera fokussierte knapp einen Zentimeter über ihn die Talje, an der die Schot hängt, und nicht den Käfer selbst, und da fängt es schon an: Dieser Glückskäfer hatte selten Glück.
Wir nahmen ihn unter unsere Fittiche. Ab da wurde er zum Teil der Besatzung und wohnte in einem Wasserglas. Das Wasserglas verstaute ich vor jedem Ablegen seefest in den Schrank. Sobald wir anlegten, holte ich es sofort raus, und der Glückskäfer bekam Ausgang auf dem Tisch.
Jedes Mal hielt ich den Atem an, denn nach stundenlangem Aufenthalt im dunklen Schrank, bewegte er sich anfangs nicht. Wir befürchteten, dass er im verschlossenen Schrank erstickt wäre. Doch es dauerte nicht allzu lange, bis er einen seiner dünnen Beine doch ausstreckte, und wir jubelten jedes Mal.
Seine Verletzung war schon schwer aber ich hielt den Wimpel der Hoffnung hoch, dass er sich eines Tages doch davon erholen würde.
Nach zwei drei Tagen wurde er immer träger, bis uns einfiel, dass er etwas zu fressen bekommen musste. Nach kurzem Googlen, warfen wir ihm ein kleines Blatt von den romantischen Blumen, die ich von meinem Freund geschenkt bekommen hatte, in sein Häuschen. Er spielte zwar mit ihm mehr als dass er es gefressen hätte, aber er wirkte wieder lebendiger.
Im Kajüt war die Luft nicht mehr die Frischeste, nachdem die Luken tagelang wegen Dauerregen geschlossen blieben. Deshalb ließen wir den Glückskäfer die erste Nacht, in der es trocken bleiben sollte, geschützt in seinem Glas und unter dem Sprayhood draußen. Er sollte mal Sauerstoff bekommen.
Als wir am nächsten Morgen aufwachten, war das Glas Finger hoch mit Regenwasser voll, und der Glückskäfer schwebte bewegungslos auf der Oberfläche. Eine traurige Ansicht.
Es hatte entgegen aller Vorhersagen doch geregnet, selbst in diesen geschützten Platz hinein. Ich nahm ihn da raus und legte ihn in ein trockenes Glas auf den Tisch, damit er trocknet. Wer weiß, vielleicht konnte er ja doch schwimmen und bewegt sich doch noch nach langer Stille - wie so oft schon…
Wir frühstückten leise. Ich schaute immer wieder auf das Glas um zu sehen, ob sich da etwas bewegt. Dann stand ich auf und ging an Land duschen.
Als ich zurück kam, nahm mich mein Freund in den Arm und sagte, er hätte den Abwasch schon mal erledigt. Er wusste, dass ich traurig war.
Von dem Blickwinkel zwischen seinen Armen schaute ich in die Ecke des Glases. Da war nichts mehr. Ich löste mich von ihm und trat ein Schritt zurück. Ich fragte, ob er auch _das_ Glas gespült hätte. Von seinem furchtvollem Blick und dem Stottern wusste ich es. Ich lief zum Waschbecken und sah dort im Abfluss einen sehr sauberen Glückskäfer im Schaum liegen.
Ich ging zurück zu ihm und warf mich mit einem Seufzer auf die Sitzfläche auf dem Cockpit. Er sagte, er hätte gedacht, der Pechkäfer wäre schon tot. Ich sagte, deshalb muss man ihn nicht mit Spüli abwaschen. Ich sagte, dass ich mir außerdem noch nicht sicher war, ob er tot war. Er sagte schuldbewusst, jetzt könne ich mir sicher sein.
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